Critical Mass in der Corona-Pandemie

Während der Corona-Pandemie sind wir aufgefordert, Kontakte mit anderen Menschen auf das notwendige Minimum zu reduzieren. Da gemeinsame Radtouren am Freitagabend zweifelsohne nicht zu den lebensnotwendigen Tätigkeiten gehören, ruhte die bundesweite Critical-Mass-Szene seit März 2020 mit Ausnahme einiger weniger Städte.

Einige Monate später, als die erste Welle als gebrochen galt, wurden die monatlichen Touren in vielen Städten wieder aufgenommen, wobei das Teilnehmer*innenfeld trotz sommerlicher Höchstleistungen in der Regel kleiner ausfiel als im Sommer 2019. Im folgenden Herbst, als die nunmehr zweite Infektionswelle drohte, orientierten sich die meisten Städte am Inzidenzwert und stellten die gemeinsamen Fahrten ab einem Wert von 35 oder 50 Infektionen pro 100.000 Menschen pro Woche ein.

Im anstehenden Sommer 2021 gilt die so genannte dritte Welle mittlerweile als gebrochen, die wärmeren Temperaturen, das größtenteils vorsichtige Verhalten der Bevölkerung sowie die fortschreitende Impfkampagne lassen gemeinsame Fahrradtouren im Laufe des Sommers möglich erscheinen.

Rechtliche Aspekte

Grundsätzlich gilt, dass es keine organisatorische Möglichkeit gibt, eine Critical Mass zu untersagen oder abzusagen: Sobald sich genügend Teilnehmer*innen am Treffpunkt eingefunden haben, kann es losgehen.

Aus rechtlicher Sicht sind jedoch die Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus’ zu beachten, die von Bundesland zu Bundesland leicht variieren, aber in der Regel Ansammlungen von Menschen auf fünf Personen aus zwei Haushalten begrenzen, so dass die Teilnahme an einer Critical Mass oder ähnlichen Radtour, die über fünf Personen zählt, als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann.

Infektionsrisiko während einer Critical Mass

Wir haben binnen der letzten Monate große Fortschritte im Verständnis des Coronavirus’ gemacht und wissen mittlerweile, dass die Ansteckungsgefahr im Freien deutlich geringer ist als innerhalb geschlossener Räume. Das Berühren von Gegenständen gilt als unproblematisch, da sich SARS-CoV-2 nach dem momentanen Wissensstand nicht über Schmierinfektionen überträgt. Diese Erkenntnisse lagen im letzten Jahr noch nicht in derart gesicherter Form vor, so dass es richtig war, gemeinsame Radtouren vorsichtshalber zu unterlassen.

Die einfache Gleichung, dass eine Critical Mass an der frischen Luft stattfände und daher hinsichtlich der Infektionsdynamisch unauffällig sein wird, greift hingegen zu kurz: Das Infektionsrisiko an der frischen Luft ist eben so gering, weil wir uns meistens aus dem Weg gehen und nicht mit einer großen Anzahl potenziell fremder Menschen eine längere Zeit nah beieinander passieren und in engeren Straßen wie Fußgängerzonen, wo sich viele Menschen auf engem Raum aufhalten, eine Maskenpflicht durchgesetzt wird.

Bei einer Critical Mass wird es allerdings schwierig sein, den Grundsätzen des Infektionsschutzes in dieser Hinsicht zu entsprechen: Auch wenn sich alle Teilnehmer*innen bemühen, den Mindestabstand von anderthalb Metern zueinander zu wahren, werden sich Unterschreitungen nicht vermeiden lassen: Spätestens beim Warten an der roten Ampel werden die Mindestabstände im Regelfall unterschritten, wenn man nah beieinander steht.

Es wird sich nach den Berichten der letzten Monate nicht vermeiden lassen, dass Teilnehmer*innen keine Maske tragen und sich nicht an Mindestabstände halten. Manche Teilnehmer*in mag den Coronavirus grundsätzlich nicht ernst nehmen, andere setzen die Maske womöglich ab, damit sie beim Radfahren besser atmen können oder weil sie etwas essen, trinken oder eine Zigarette rauchen müssen. Was unter dem wachsamen Auge von Ordner*innen und Polizeibeamt*innen bei einer angemeldeten Demonstration rasch zum Ausschluss aus der Versammlung führen kann, bleibt bei einer Critical Mass grundsätzlich ungeahndet; erhöht aber dennoch das Infektionsrisiko.

Einige Teilnehmer*innen werden, je nachdem, wie groß eure Stadt ist, die An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestreiten und dort weitere Kontakte verursacht werden. Womöglich zieht eure Critical Mass auch Radfahrer*innen aus anderen Städten an, so dass sich die Anzahl der Kontakte ein weiteres Mal erhöht.

In diesem Sinne nimmt eine Critical Mass gewissermaßen eine Sonderstellung ein zwischen einer angemeldeten Demonstration mit einem Hygienekonzept, dessen Einhaltung von der Ordnungsmacht sichergestellt wird, und einer lockeren Radtour im engen Freundeskreis an der frischen Luft: Man hält sich zwar draußen auf, so dass nach heutigem Kenntnisstand Infektionen eher unwahrscheinlich sind, doch umgibt man sich über einen längeren Zeitraum mit fremden Menschen, so dass das Risiko einer Infektion ansteigt.

Beispielsweise haben die „Querdenken“-Demonstrationen im Herbst 2020, bei denen weder Masken getragen noch Abstände eingehalten worden, zu tausenden Neuinfektionen geführt. Eine „Querdenken“-Demonstration lässt sich sicherlich nicht auf eine Critical Mass übertragen, allein schon aufgrund der Teilnehmer*innenzahl, doch zeigt es eben einen Aspekt auf: Auch an draußen unter freiem Himmel steigt das Infektionsrisiko, wenn sich Menschen über einen längeren Zeitraum nah beieinander aufhalten

Fazit

Grundsätzlich ist eine Critical Mass unzulässig, sofern die für eure Stadt einschlägigen Infektionsschutzgesetze Treffen von mehreren Menschen aus fremden Haushalten untersagen.

Ob ihr dennoch fahrt oder nicht bleibt euch überlassen. Sinnvoll erscheint eine Critical Mass in Gebieten mit hohen Inzidenzwerten allerdings nicht. Was auf jeden Fall vermieden werden sollte, sind die fröhlichen „After Mass“-Partys, bei denen die Teilnehmer*innen bierselig stundenlang nah beieinander stehen.