All Critical Mass is Nazi

Manchmal geht die verdiente Mittagspause ganz unverhofft den Bach runter. Der 20. Dezember 2017 war so ein Tag, als Torsten Dirk bei den Ruhrbaronen einen Artikel mit einem leicht clickbaitig angehauchten Titel veröffentlichte:

Fuck you, Critical Mass Berlin Sollen wir den Rechten Ihre Symbole rauben, um sie unschädlich zu machen? Ich möchte diese Frage einmal kurz beantworten: nein. Die Opfer und deren Nachkommen sollen auf Deutschem Boden nicht ständig an diese düstere, böse und faschistische Vergangenheit erinnert werden. Von unserem Gastautor Torsten Dirk.

Der Artikel war, nun ja, der Artikel war „interessant“.

Die obligatorische Empörungswelle rollte umgehend durch die einschlägigen Critical-Mass-Gruppen und -Seiten auf facebook und im restlichen Netz, ich tippte in ebenjener Mittagspause eine halbfertige Rezension zurecht, als Torsten Dirks Beitrag so plötzlich und geräuschvoll aus dem Netz verschwand wie er kurz zuvor aufgetaucht war:

Es gibt Dinge, die in der Existenz eines Blogs hoffentlich nur einmal passieren. Hier stand ein Gastbeitrag, den wir vor Veröffentlichung hätten gründlich lesen sollen. Wir werden keine Verbesserung unserer Prozesse versprechen, so wie es andere Medien tun (die damit lügen). Wir versprechen, dass der nächste Beitrag zu diesem Thema noch ärgerlicher wird. Weil er verdammt gut sein wird.

Damit wollte ich die Sache auf sich beruhen lassen. Man muss schließlich nicht alles kommentieren und die Besprechung eines Artikels, der gerade mal für vier oder fünf Stunden der Öffentlichkeit zugänglich war, naja, die ist nun wirklich eher witzlos.

Das blöde an der Sache war nur: Es gibt Kopien von diesem Artikel — und die machten während der Weihnachtsfeiertage die Runde durchs Netz; sogar auf dem 34C3 in Leipzig wurde über die große Nazi-Vergangenheit der Critical Mass Berlin debattiert, als ich einige Plakate für die Critical Mass Leipzig aufhing. Vielleicht sollten wir doch einmal darüber sprechen, was Dirk alles in der Critical Mass vermutet — er selbst steht ja nach wie vor zu seinem Text und am Ende glaubt das sonst noch jemand.

Los geht’s mit der Einleitung:

Sollen wir den Rechten Ihre Symbole rauben, um sie unschädlich zu machen? Ich möchte diese Frage einmal kurz beantworten: nein. Die Opfer und deren Nachkommen sollen auf Deutschem Boden nicht ständig an diese düstere, böse und faschistische Vergangenheit erinnert werden. Von unserem Gastautor Torsten Dirk.

Ich fürchte, allein in dieser Einleitung steckt so viel Diskussionspotenzial, dass sich die im ersten Satz aufgeworfene Frage nicht „kurz beantworten“ lässt. Und der dritte Satz passt weder zu den ersten beiden, geschweigedenn zum Rest des Artikels. Allein nach den ersten drei Sätzen fragt man sich als Leser unwillkürlich, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Aber gut, wir steigen ein, wir fahren mit.

Mutmaßlich spielt Dirk mit der Symbolik der Rechten auf die Herrschaft des Nationalsozialismus bis 1945 an. Aus meiner ganz persönlichen Perspektive halte ich es für geradezu fatal, diese „diese düstere, böse und faschistische Vergangenheit“ zu vergessen. Aufgrund der sinnentstellenden Verkürzung, mit der Dirk im Folgenden diese Problematik abarbeitet, bleibt noch nicht einmal genügend Raum für die grundsätzliche Festlegung, in welche Richtung diese Frage überhaupt gestellt werden soll.

Geht es lediglich um die oberflächliche Perspektive, dass Opfer und deren Nachkommen nicht mehr mit Hakenkreuzen und nationalsozialistischen Phrasen in der Öffentlichkeit konfrontiert werden sollen? Ich glaube, diesbezüglich haben wir schon einen recht gesunden Umgang gefunden, der solche Symbole ins Museum verbannt, in dem sie im passenden Kontext ausgestellt und erklärt werden können.

Geht es aber um die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus, so halte ich das Vergessen für das Schlimmste, was unserer Gesellschaft in der momentanen Lage passieren könnte. Aus bestimmten politischen Ecken wird seither ein Ende des „deutschen Schuldkults“ gefordert und der immer größer werdende Mangel an Zeitzeugen, die aus der Herrschaft des Nationalsozialismus berichten können, macht sich immer mehr bemerkbar, wenn beispielsweise wieder einmal die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Sinne einer ins Positiven verklärten Gleichschaltung der Medien, die Einführung der Todesstrafe für Vergewaltiger und Staatsfeinde sowie die sofortige Ausweisung aller Nicht-Biodeutschen gefordert wird.

Ich halte es für gefährlich, dass mittlerweile der geradezu romantisch besetzte Begriff „deutsches Volk“ die Begriffe „Deutsche“ und „Deutschland“ abgelöst hat — wir müssen uns daran erinnern, dass so etwas schon einmal in unserer jüngeren Geschichte passiert ist und, gelinde gesagt, furchtbar schiefgegangen ist. Das darf man nicht vergessen.

Ich finde das ist eine nicht erträgliche Zumutung. Nazisymbole sollten verschwinden und das Hakenkreuz ist verboten und das muss auch so bleiben. In Berlin-Spandau ist jüngst bekannt geworden, dass eine Kirchenglocke mit Hakenkreuz existiert. Zurecht wird die Glocke nach Protesten aus der Bevölkerung entfernt. Christen die Gottesdienst feiern, müssen und sollten nicht zur Heiligen Messe kommen, in dem in irgendeiner Form der Geist der Nazizeit involviert ist. Ich möchte das einfach nicht und zum Glück denken die meisten Deutschen und erst recht die Berliner so, denn ihre Stadt und das ganze Land, ganz Europa, die halbe Welt lag wegen der Nazis in Schutt und Asche. Zum Gedenken an die Opfer, zum Schutz der heutigen jüdischen Gemeinschaft und zum Wohle aller aufgeklärten Bürger.

Die Geschichte mit der Kirchenglocke in Berlin-Spandau ist allerings etwas komplexer — ich fürchte allerdings, dass das ein bisschen zu weit vom Thema wegführt, denn nun kommt endlich der Übergang zur Critical Mass:

In Berlin ist mir seit geraumer Zeit Critical Mass ein Dorn im Auge. Critical Mass Berlin verfolgt wohl kein rassistisches Gedankengut, spielt aber mit dem Feuer. Das Logo von Critical Mass Berlin und anderer Radnazigruppen, die mittlerweile weltweit existieren ist nach meinem Erachten dem Logo des Motorrad-Korps aus der Nazizeit nachempfunden. Das Logo ist schwarz auf weiß. Es zeigt ein Zahnrad, wohl ein Fahrradreifen mit angedeuteten Spikes. Darin ein linker, neurechter, querfront radelnder Spinner? Warum Spinner? Weil sie mir damit furchtbar auf den Sack gehen.

Ähm, nein. Das Logo der Critical Mass Berlin ist mit Sicherheit nicht dem Motorrad-Korps empfunden worden. Dirk hat offenbar eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Symbolen festgestellt, allerdings beschränkt sich die Ähnlichkeit auf… naja, drei wesentliche Punkte: Beide Symbole werden von einem Kreis eingeschlossen, beide Kreise haben „Dinge“ an der Außenseite, beide Kreise umschließen jeweils ein weiteres Symbol.

Das sind allerdings sehr lose Gemeinsamkeiten, um eine Ähnlichkeit oder gar eine Nachempfindung feststellen zu können. Wenn Dirk seines Erachtens hier eine Nachempfindung herbeidiskutieren möchte, hat das wiederum meines Erachtens noch nicht überzeugt.

Dass Dirk nicht so richtig weiß, wovon er da spricht, offenbart er am relativ hilflosen Umherrudern um das, was das Critical-Mass-Logo denn nun umrandet. Erst nennt er das Ding Zahnrad, dann einen Fahrradreifen mit angedeuteten Spikes. Das klingt schon recht kriegerisch, da bekommt man schon ein bisschen Angst. In Wirklichkeit handelt es sich allerdings um ein Kettenblatt, einen wesentlichen Bestandteil eines Fahrrades, in der Regel immer zwischen der Kurbel und den Pedalen zu finden. Das sollte eigentlich jeder mit einer ungefähren Vorstellung eines Fahrrades erkennen können.

Ähnliche Probleme hat Dirk in der Deutung dessen, was sich in dem vermeintlichen Zahnrad befindet. Ein Linker? Oder doch ein Neurechter? Oder ein querfrontradelnder Spinner? Die Lösung ist viel einfacher: Es handelt sich um einen Berliner Bären, seit lockeren 700 Jahren das Wappentier Berlins, leicht dickbäuchig auf dem Fahrrad hockend. Das könnte man durchaus wissen, gerade als Bewohner der Bundeshauptstadt.

Das ist eigentlich ein recht rundes Logo, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Entstehungsgeschichte, die sich einigermaßen leicht recherchieren lässt, wenn man einfach mal die Leute kontaktiert, die die fraglichen Seiten betreiben, ist recht schnell erzählt: Für das Logo wurde einst eine Art Wettbewerb ausgeschrieben und der querfeldeinradelnde Berlinerdickbauchbär ging fuhr daraus als Sieger hervor.

Um hier einen Zusammenhang mit rechtem Gedankengut herzustellen wäre es allerdings hilfreich, nicht bloß auf die runde Form des Logos abzustellen, die man in ähnlicher Darstellung in der Nazizeit finden könnte. Um einen soliden Zusammenhang herzustellen, sollte Dirk wenigstens Recherche betreiben, inwiefern sich denn rechtes Gedankengut in der Critical Mass Berlin wiederfindet, welche Biographie die üblichen Verdächtigen im Umfeld der Critical Mass haben.

Allein schon der Wettbewerb um das Logo herum lässt mich ratlos zurück: Entweder ließ sich die schweigende Mehrheit der Berliner Critical-Mass-Teilnehmer ein rechts angehauchtes Logo unterjubeln oder aber rechtes Gedankengut ist wirklich tief in der Berliner Fahrradszene verankert, so dass man sich begeistert für das Zahnrad mit Spikes oder so entschied.

Vielleicht ist all das auch einfach etwas übertrieben und mit einer neurechten Unterwanderung der Berliner Critical-Mass-Szene nicht zu rechnen. Für den Beweis einer Unterwanderung der Critical Mass durch rechtes Gedankengut ist die Beweislage momentan jedenfalls sehr dünn. Das weiß er ja auch selbst, schließlich meint er selbst, die Critical Mass Berlin verfolge gar kein rassistisches Gedankengut.

Und so bleibt der Leser etwas ratlos mit dem Begriff „Radnazigruppe“ zurück. Ein kurzer Gedankengang dazu: Es wäre sehr hilfreich, nicht ständig alles und jeden (als Nazi)[http://sqi.be/myats] zu bezeichnen.

In Zeiten von Fake News brauchen wir Klarheit. Ich möchte sicher gehen, dass ich hier nicht an AfD Anhänger, Linksradikale, Querfrontler und Verschwörungstheoretiker gerate.

Ich glaube nicht, dass man bei einer Critical Mass große Angst haben muss, an zwielichte Gestalten aus dem rechten Spektrum zu geraten. Ich treibe mich seit nunmehr sechseinhalb Jahren im Umfeld der Critical Mass herum und halte sowohl die Critical Mass Berlin als auch ihre Geschwister in anderen Städten, etwa Hamburg, Köln oder Hannover, für ziemlich linke Socken. Seit ebenjenen sechseinhalb Jahren nehme ich an Diskussionen im Umfeld der Critical-Mass-Bewegung teil und habe bereit so viele so genannte Nazi-Diskussionen hinter mir, dass ich wirklich jeden beruhigen kann: Mit konservativen oder rechten Gedankengut wird man an der Critical Mass keine Freude haben.

Ich kann ja mal ein bisschen in Erinnerungen schwelgen: Wir hatten erst letzten Juni einen Teilnehmer bei der Critical Mass in Hamburg, der die Tour mit einer überlebensgroßen Deutschlandfahne anführte. Während der Tour blutete das Teilnehmerfeld geradezu aus, weil viele Teilnehmer nicht fröhlich hinter Schwarzrotgold herradeln wollten — und direkt nach der Tour zerlegte sich die Critical Mass Hamburg nach bester linksgrüner Tradition selbst in den einschlägigen facebook-Gruppen und stritt darüber, warum keiner rechtzeitig eingegriffen und dem „Fahnennazi“ sein Fahrrad zerschrottet hätte. Holla, da ging’s heiß her, die Wunden aus jenem Sommermonat bluteten noch eine ganze Weile. Oder der Sommer 2013, als wir uns regelmäßig auf die Murmel gaben hinsichtlich der Frage, was wir denn täten, wenn wir den Verdacht hätten, es könnte sich unter den fünftausend Teilnehmern der Critical Mass Hamburg ein Nazi befinden. Das waren äußerst unschöne Debatten.

Und das ist wirklich nur beispielhaft für die Diskussionen, die in den letzten Jahren geführt wurden, die ich auch in ähnlicher Tonlage in den einschlägigen Critical-Mass-Gruppen anderer Städte verfolgen durfte. Nein, ich glaube wirklich nicht, dass man sich bei der Critical Mass allzu große Sorgen um allzu rechtes Gedankengut machen müsste.

Critical Mass verabredet sich zu Fahrradfahrten, behindert den Straßenverkehr und es wäre ratsam genauer hinzuschauen, welchen Zweck dieser Verein eigentlich verfolgt.

Einen Moment mal: Die Critical Mass ist kein Verein. Ich weiß nicht, ob Dirk den Begriff „Verein“ im Sinne des Vereinsrechts verwenden wollte oder ob er nur ein Synonym für den Zusammenschluss mehrer Menschen mit ähnlichen Interessen gesucht hat, aber die Critical Mass Berlin ist kein Verein, weder im rechtlichen noch im organisatorischen Sinne, sondern lediglich eine unscharf umrissene Ansammlung von Menschen mit Rädern, die sich einmal im Monat zu einer Radtour treffen.

Dieses Prinzip der losen Organisation lässt sich in Berlin besonders eindrucksvoll erkennen: Die Hauptstadt-Masse verteilt sich auf mindestens vier bis acht Webseiten (critical-mass-berlin.de, criticalmass-berlin.org, criticalmass.berlin, cmberlin.blogsport.de sowie kritische-masse.net, criticalmass.online, criticalmass.de/berlin, criticalmass.in/berlin), drei twitter-Konten (@CMlerBerlin, @CMBerlin und @criticalmassbln) und eine Seite auf facebook.

Nach meiner Kenntnis werden diese Internetauftritte von unterschiedlichen Personen betrieben, die jeweils unterschiedliche Strömungen und Meinungen innerhalb des Gesamtverbundes der Critical Mass Berlin vertreten. Dieser lose organisierte Gesamtverbund lässt sich in jeglicher Hinsicht nur schwer als „Verein“ bezeichnen.

Es ist allerdings auch nicht so ganz klar, ob Dirk hier nicht eventuell noch die Critical Mass Berlin mit dem ADFC Berlin und mit Heinrich Strößenröther und dessen Aktionen vermengt, wenigstens lässt seine Argumentation vermuten, dass er zwischen diesen unterschiedlichen Akteuren nicht besonders sauber differenziert.

Sind die schlicht die langweiligen Bewahrer einer vergangenen Zeit? Sie selbst sehen sich ja als wichtiger Teil der Zukunft. Ja, es ist ratsam in der Stadt das Rad zu benutzen.

Bitte, ich begreife es nicht: Meint Dirk mit den Bewahrern einer vergangenen Zeit ernsthaft, dass die Teilnehmer der Critical Mass Berlin während ihrer zweieinhalbstündigen Ausfahrten regelmäßig Adolf Hitler huldigen?

Aber bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, schiebt Dirk die Lösung dieses angekokelten Gedankenganges gleich nach: Nee, doch nicht, sie sehen sich eher als Teil der Zukunft und Fahrrad und so und sowieso.

Boah.

Aber hey, wie er schon sagt: Es ist ratsam in der Stadt das Rad zu benutzen. Ja. Und damit wurde das Ziel dieses „Vereins“ schon aufgetan. Die Critical Mass, ich finde, das sollte nicht gänzlich unerwähnt bleiben, hat in vielen Städten ein Umdenken hinsichtlich des Mobilitätswandels erst in Gang gebracht. Die Critical Mass war und ist in vielen Städten die Keimzelle für viele aktive und kulturelle Gruppen rund ums Oberthema Fahrrad, die teilweise bis heute Bestandteil der Fahrradszene oder -kultur einer Stadt sind. Viele Bekanntschaften wurden während einer Tour geschlossen, viele Ideen anschließend begossen und viele Teilnehmer bis heute für das Fahrrad und den damit einhergehenden Mobilitätswandel begeistert. Ohne die Critical Mass triebe ich mich heute mit Sicherheit nicht in diesem ganzen Fahrrad- und Mobilitätswandel-Umfeld herum und säße mir nicht andauernd auf irgendwelchen Ausschusssitzungen den Hintern platt, um meine Stadt fit für den Verkehr von morgen zu machen.

Ja, ich finde schon: Hinsichtlich des Straßenverkehrs ist die Critical Mass ein wichtiger Teil der Zukunft.

Jedes Mal wenn ein Radfahrer stirbt, wird der Tote benutzt und instrumentalisiert, um die Ziele des Vereins voranzutreiben. An der Unfallstelle wird ein weißes Geisterrad aufgestellt und es soll daran erinnern, dass hier ein Radfahrer, nicht ein Mensch (!) ums Leben kam.

Wie immer täten dem Artikel hier ein paar mehr Details ganz gut. Beispielsweise ist mir nicht klar, wie der Tote benutzt und instrumentalisiert wird, beziehungsweise was die Ziele des Vereins sind — oder, nach wie vor, wer dieser ominöse Verein nun überhaupt ist.

Die Mahnwache und das Geisterrad an den Berliner Unfallstellen werden in der Regel von den Initiatoren des Berliner Volksentscheid Fahrrad organisiert, dessen Trägerverein Changing Cities e.V. übrigens tatsächlich ein Verein ist, aber mit der Critical Mass Berlin in organisatorischer, personeller oder konzeptioneller Sicht wenig gemein hat, außer dass man eben gewisse Interessen teilt. Manchmal mischt offenbar auch der ADFC Berlin mit, hin und wieder wohl auch einige Privatpersonen.

Mir ist auch Dirks Intention hinter dem Ausrufezeichen klar, doch die strikte Unterscheidung zwischen Mensch und Radfahrer, die er offenbar bei den Organisatoren dieser Mahnwachen vermutet, kann ich nur bedingt nachvollziehen. Natürlich findet sich in veröffentlichten Texten des Volksentscheids überdurchschnittlich häufig der Begriff „Radfahrer“ oder „Radfahrender“, schließlich geht’s ja primär um den Radverkehr, allerdings steckt hinter hinter dieser Begrifflichkeit eigentlich eine größere Idee: Eine Stadt für Menschen zu bauen, nicht für Kraftfahrzeuge.

In meiner Heimat in der schleswig-holsteinischen Provinz werden beispielsweise bei tödlichen Autounfällen kleine Holzkreuze neben der Unfallstelle aufgestellt. Diese Holzkreuze werden von Freunden und Hinterbliebenen organisiert und gepflegt, häufig werden am Jahrestag Kerzen und Blumen niedergelegt um einerseits den Verstorbenen zu gedenken, andererseits die vorbeifahrenden Kraftfahrer zu einem moderaten Fahrstil anzuhalten: Hier droben im Norden sind viele außerörtliche Unfälle mit tödlichem Ausgang auf eine unangemessen hohe Geschwindigkeit zurückzuführen, die sich dann in der nächsten Kurve an einem Baum fatalisiert.

Aus dem gleichen Grunde werden diese weißen Geisterräder aufgestellt: Um daran zu erinnern, dass hier ein Mensch beim Radfahren ums Leben gekommen ist. Um zu mahnen, an dieser und an anderen Stellen im Straßenverkehr vielleicht etwas kürzer zu treten. Und um diese teilweise lebensgefährlichen Stellen im deutschen Straßennetz überhaupt erst sichtbar zu machen, um damit überhaupt erst öffentlichen Druck aufbauen zu können, diese Infrastruktur endlich zu entschärfen.

Man kann diese Mahnwachen natürlich als Instrumentalisierung seitens des „Vereins“ betrachten. Vielleicht ist es auch einfach, man sehe mir die hochtrabende Wortwahl bitte nach, ein Dienst für die Gemeinschaft, den die Initiatoren hier mit ihrer Freizeit ehrenamtlich leisten.

Sollte ich jemals bei einem Unfall ums Leben kommen würde ich mich im Grabe herumdrehen, wenn mein Tod dazu benutzt würde eine Sache voranzutreiben, die ich so überhaupt nicht teile. Werden die Angehörigen überhaupt gefragt?

Fangen wir mal hinten an: Ob die Angehörigen gefragt werden, ist sicherlich nach Stadt und den jeweiligen Organisatoren unterschiedlich. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, werden die Angehörigen in Berlin tatsächlich kontaktiert. Hier drüben in Hamburg wurden beispielsweise im letzten Jahr überhaupt keine Geisterräder aufgestellt, weil die Idee jeweils aus Pietätsgründen und dem Genehmigungsverfahren seitens der Polizei schließlich versandete.

Ich komme allerdings immer noch nicht so ganz dahinter, worauf Dirk mit dem ersten Satz abzielt. Er möchte nicht, dass sein Tod von der Nazi-Critical-Mass-Berlin mit einem Geisterrad instrumentalisiert wird, obwohl die Critical Mass Berlin eigentlich mit Nazis nicht am Hut hat und die Geisterrad-Aktionen auch nicht von der Critical Mass Berlin organisiert werden. War das in etwa korrekt wiedergegeben? Naja.

Andererseits muss ich dann doch mal frech nachfragen: Wenn Dirk tatsächlich mit dem Rad an einer Kreuzung von einem abbiegenden Lastkraftwagen getötet würde (und nein, bevor hier jemand absichtlich etwas falsches hineininterpretiert: Diese Erfahrung wünsche ich ihm sicherlich nicht), schaute er dann tatsächlich aus dem Himmel herab und denkt, naja, ist halt dumm gelaufen, aber ich möchte nicht, dass meinetwegen gegen solche gefährlichen Kreuzungen demonstriert wird? Nö, klar, wenn diese Demonstrationen tatsächlich von waschechten Nazis abgehalten würden, klar, das möchte ich auch nicht. Aber wie Dirk schon eingangs feststellte: Mit Nazis ist bei der Critical Mass nicht zu rechnen.

Vielleicht sollte an dieser Stelle auch einmal der Sinn und Zweck einer Demonstration geklärt werden: Einerseits geht es sicherlich darum, auf den tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer aufmerksam zu machen: Da ist ein Mensch gestorben. Andererseits ist mit diesen Demonstrationen auch immer wieder die Forderung verbunden, doch bitte endlich derartig unzureichende Kreuzungen im Straßenverkehr abzusichern oder beispielsweise Abbiegeassistenten für Lastkraftwagen vorzuschreiben. Das ist prinzipiell ein Dienst für die Allgemeinheit, nicht für den verstorbenen Verkehrsteilnehmer — der hat schließlich nichts davon, der ist ja nun schon tot.

Ist der Tod öffentlich oder eine private Angelegenheit?

Allein über diese Frage könnte man schon eine längere philosophische Ausarbeitung anfertigen.

Leider hat nicht jeder Mensch das Glück, friedlich zu Hause im Bett einzuschlafen. Einige Todesfälle, darunter fast alle, die im Zusammenhang mit einem Unfall stehen, erregen dagegen öffentliche Aufmerksamkeit. Flugzeugabstürze zählen genauso dazu wie tödliche Unfälle in einem Stahlwerk oder eben im Straßenverkehr. Letztere sind häufig auf eine ganz besonders perfide Weise für die Öffentlichkeit interessant, weil man aufgrund der Straßensperrung eine Weile im Stau stand oder einen Umweg fahren musste und sie nicht so abstrakt sind wie der Arbeiter, der in den Stahlkocher gestürzt ist: Mit dem Straßenverkehr kann jeder etwas anfangen, denn jeder nimmt am Straßenverkehr teil.

Die Organisatoren dieser Mahnwachen respektieren in der Regel die Privatsphäre des Toten und der Angehörigen, so dass nur ein paar Details wie Alter und der ungefähre Unfallhergang preisgegeben werden. Zusätzliche Informationen findet man allenfalls in der Boulevardpresse, die für diese philosophische Betrachtung der richtige Ansprechpartner sein sollte.

Ferner stört mich der Umgang mit den Unfallverursachern. Critical Mass Berlin bezeichnet in deren Postings ständig LKW Fahrer als Mörder.

Auch hier hätte im Interesse einer sauberen journalistischen Arbeit ein Beleg die Behauptung solide abgerundet. Ich habe ungefähr zweieinhalb Stunden lang die einschlägigen Seiten der Critical Mass Berlin im Netz, auf facebook und twitter studiert und: Nichts gefunden. Ich habe keine Seite im Umfeld der Critical Mass Berlin auftreiben können, auf der Unfallverursacher bei tödlichen Unfällen mit Fahrrad-Beteiligung „andauernd“ oder auch nur hin und wieder als Mörder bezeichnet werden.

Das einzige, was mir dabei gleich mehrfach über den Weg lief, waren Kommentare und Beiträge von radfahrenden Verkehrsteilnehmern und potenziellen Mitstreitern in den einschlägigen Gruppen auf facebook und auf twitter, in denen die Wortwahl angesichts der vielen Unfälle zwischen abbiegenden Lastkraftwagen und Radfahrern etwas harsch ausfiel. Diese Kommentatoren sprechen aber weder in irgendeiner Weise für die Gemeinschaft der Critical Mass Berlin noch ist klar, in welcher Beziehung sie zur Critical Mass stehen. Das ist ungefähr so sinnvoll wie morgens um fünf Uhr beim Zeitungsausträger Beschwerde für die Wortwahl in den Leserbriefen einzureichen. Unter der Ankündigung, die Critical Mass Berlin bezeichne „in deren Postings ständig LKW Fahrer als Mörder“ hatte ich mir drastischeres vorgestellt.

LKW Fahrer sind keineswegs nur Mörder. Sie werden ihr Leben lang damit leben müssen einen Menschen getötet zu haben. Das ist kein Spaß. Daran zerbrechen Leute und nun tanzt eine wild gewordene Horde Spinner zusätzlich auf der Seele des bereits Angeschlagenen herum? Schämt euch! Ein Mob wie im Mittelalter, vergleichbar mit dem inszenierten Mob im IS der Schwule vom Haus in den Tod schubst. In den Augen von Critical Mass Berlin die auch schon gegen türkische Taxifahrer hetzten und das Posting später gelöscht haben, werden per Se alle Autofahrer als schlecht, rüpelhaft und bösartig betitelt und das gerät immer mehr in die Kritik.

Nun mal langsam.

Zunächst einmal denke ich auch, dass die meisten Menschen den verschuldeten Tod eines anderen Mitmenschen nicht einfach so locker-flockig wegstecken. Aber auch da gilt: Jeder geht damit anders um. Der eine ist nach einem solchen Vorfall womöglich für den Rest des Lebens arbeitsunfähig, während andere bereits am nächsten Tag wieder auf dem Bock saßen, nachdem sie im „Sekundenschlaf“ über eine bereits mindestens vier Sekunden lang rot leuchtende Ampel fuhren und einen Radfahrer töteten.

Ich habe als Zuschauer in diversen Gerichtsprozessen, in denen meistens aggressives Verhalten von Kraftfahrern gegenüber Radfahrern verhandelt wurde, einige Angeklagte kennengelernen dürfen, die beispielsweise mit ihrem Kraftfahrzeug einen Radfahrer geradezu durch die Straßen jagten und trotz schwerer Verletzungen des Radfahrers mit sich selbst vollkommen im Reinen waren. Einer ließ sich beispielsweise direkt nach der Urteilsverkündung zu der Bemerkung hinreißen, er werde das nächste Mal nicht abbremsen. Nunja. Glück für ihn, dass das weder Richter noch Staatsanwalt gehört hatten.

Es gibt nunmal Menschen, die so etwas besonders gut und schnell verarbeiten, und gerade deshalb ist seitens der Fahrradfraktion auch die Fassungslosigkeit spürbar: Wenn jemand einen anderen Menschen fahrlässig oder vorsätzlich umbringt, sei es im Straßenverkehr, im Alltag, im Beruf, wird ein solcher Fall relativ genau ermittelt und aufgearbeitet. Man hat aber das Gefühl, sobald ein Fahrrad in dem Vorfall involviert war, ist das eben… einfach so passiert. Pech gehabt.

Da folgen dann beispielsweise gar keine Maßnahmen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Niemand nimmt dem Lastkraftwagen-Fahrer die Fahrerlaubnis ab, nachdem er im Sekundenschlaf eine rote Ampel missachtet und einen Menschen getötet hat, niemand entschärft Unfallschwerpunkte im Straßenverkehr, an denen pro Jahr mehrere nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer verunglücken und womöglich sogar sterben, eigentlich fällt Verwaltung, Politik und Polizei nur ein, angesichts steigender Unfallzahlen doch bitte reflektierende Kleidung oder am besten eine Warnweste zu tragen oder hier und da und dort auf ihre eigene Vorfahrt zu verzichten.

Unfallschwerpunkte für den Kraftverkehr werden offenbar mit höherer Priorität bearbeitet als jene für den Radverkehr. Ich versuche beispielsweise seit über einem Jahr, an einer Kreuzung im Hamburger Stadtgebiet eine Fahrradampel nachrüsten zu lassen, um eine relativ gefährliche Ampelschaltung zu entschärfen. Die Polizei, die in Hamburg in Personalunion mit der Straßenverkehrsbehörde agiert, tut nicht nur überhaupt nichts, sondern interessiert sich noch nicht einmal für diese Problematik — anstatt einen gültigen Signalgeber nachzurüsten, klebt man lieber schwarz-gelbe Aufkleber an die Ampeln, die Radfahrer zum Verzicht ihrer Vorfahrt auffordern. Diesbezüglich hat es auch nicht geholfen, dass es gleich nach dem Umbau der Kreuzung in den aktuell sehr problematischen Zustand das erste Todesopfer zu beklagen gab.

Oh, und schon auf meinem Weg zu ebenjener Kreuzung gerate ich in hanebüchen ausgeführten Arbeitsstellen im Straßenverkehr in Gefahr und wäre schon längst ein weißes Geisterrad am Straßenrand, verzichtete ich nicht andauernd auf meine Vorfahrt.

Auch aus diesem Grunde werden Mahnwachen abgehalten: Um Verwaltung und Politik daran zu erinnern, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, um eine Diskussion anzustoßen, in der immer wieder neu definiert werden muss, welchen Stellenwert die Sicherheit im Straßenverkehr zurzeit genießt. Angesichts der Bequemlichkeit, mit der diese problematischen Unfallschwerpunkte regelrecht ausgesessen werden, ist das sicherlich keine schlechte Idee.

Und mit Sicherheit tanzt auf diesen Mahnwachen niemand. Wirklich nicht. Ich weiß, es ist nervig, aber es wäre vielleicht nicht ganz so schlecht, wenn sich Dirk im Rahmen seiner Recherche einmal einen Eindruck von einer solchen Mahnwache verschafft hätte. Dirk hätte ja nicht gleich mit potenziellen Nazis draußen in der Kälte eine Kerze anzünden müssen, schließlich gibt’s ja im Netz genügend Videomaterial.

Luftverpester, alle LKW Fahrer sind Mörder.

Wie schon erwähnt: Die Quellenlage gibt derartige Aussagen nicht her.

Dirk wollte allerdings auch noch einen Gedankgengang bezüglich der Luftverschmutzung zu Papier, Pardon, zu Tastatur bringen, aber der schießt leider etwas daneben:

Was, wenn ein LKW Fahrer neue Fahrräder liefert und dabei einen Critcal Mass Ökonazi überfährt? Geißeln die sich dann mit einem Sternfußmarsch durch ganz Berlin selbst?

Diese beiden Sätze sind ja von vorn bis hinten relativ verquer. Ich vermute, Dirk spielt hier auf die Notwendigkeit des Schwerlastverkehrs an, die gemeinhin seit Jahrzehnten mit dem einprägsamen Satz „Bananen wachsen nicht im Supermarkt“ begründet wird. Den Tod eines Menschen („Critical Mass Ökonazi“) daran einzuordnen, welche Ladung der Lastkraftwagen transportiert hat, ist allerdings etwas mutig. Die Tragik des Todes eines Menschen unterscheidet sich generell nicht daran, ob der Unfallverursacher betrunken, mit dem Handy beschäftigt war oder Bananen oder Fahrräder geladen hatte.

Und was bitte mag ein Critical-Mass-Ökonazi sein? Der Kampfbegriff „Ökonazi“ hebt die Qualität des Artikels auf ein ganz neues Niveau, denn mit der Vorstellung des Ökonazis wechselt der Kontext plötzlich von einem relativ harmlosen Mobilitätswandel von der Verbrennungsmaschine zu einer nachhaltigen Mobilität zu einer viel tieferen Umordnung der Gesellschaft. Das Nazi-Suffix begründet ein vollkommen anderes Verständnis der Methoden, die längst über das relativ sparsame Besteck eines Fahrverbotes für Dieselapparate hinausgehen. An dieser Stelle wäre ein Blick in die Geschichtsbücher anzuraten — vielleicht könnte sich Dirk auch einfach an seinen eigenen Grundsatz erinnern und auf das allzu großzügige Einstreuen von Nazi-Vokabular verzichten.

Ich fahre gerne Rad, aber es gibt eben sinnigerweise auch Strecken, die ich mit dem Auto zurücklegen muss. Ich lasse auch mal etwas liefern. Ich habe einen kleinen Onlineshop und rasende Lieferdienste sind mir auch zuwider.

Ja, super, passt doch: Die allermeisten Menschen nutzen verschiedene Verkehrsmittel, um ihr Ziel zu erreichen. Zwar mag es einige Verkehrsteilnehmer geben, die tatsächlich ausschließlich mit dem Rad oder mit dem Auto fahren, doch die meisten wechseln für verschiedene Wege auch das Verkehrsmittel.

Ich erlebe auch Radfahrer, die mir das Fußgängergrün nehmen und schreiend wie Berliner so sind ihre Vorfahrt durchsetzen, genauso mies wie mancher Autofahrer. Da gibt es eben keinen Unterschied.

Erneute Zustimmung: Es gibt in jeder Gruppe die obligatorischen fünf Prozent Idioten. Manche sitzen am Lenkrad, manche auf dem Rad, manche gehen auch zu Fuß. Was die Einhaltung oder Missachtung von Verkehrsregeln angeht, geben sich die einzelnen Verkehrsarten recht wenig. Allerdings sollte fairerweise auch hier differenziert werden: In einer nach dem Krieg autogerecht aufgebauten Stadt fällt es nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern gemeinhin schwerer, die Verkehrsregeln einzuhalten.

Unter anderem sehe ich in der mangelhaften Infrastruktur für den Radverkehr eine Ursache, warum die lieben Radfahrer gemeinhin „fahren wie sie wollen“: Was soll denn eigentlich auch passieren, wenn etwa bei der Einrichtung einer Arbeitsstelle im Straßenverkehr nur der Kraftverkehr berücksichtigt wird und man davon ausgeht, dass sich der Radverkehr seinen Weg irgendwie suchen wird? Tja, dann sucht sich der Radverkehr halt seinen Weg — und der verläuft im Zweifelsfall eben auf der falschen Straßenseite auf dem Gehweg entgegen der Fahrtrichtung.

Und so zieht sich dieses Problem munter durch die gesamte Stadt: An einigen Kreuzungen darf man direkt nach rechts abbiegen, ohne irgendwelche Lichtzeichen zu beachten. An anderen Kreuzungen gilt die Ampel für den Fahrbahnverkehr, an der nächsten Kreuzung wiederum eine separate Fahrradampel, dann irgendwie doch noch ein ganz anderes Lichtzeichen. Dann soll man hier auf dem Radweg fahren, dort aber nicht mehr, da darf man vorsichtig für fünfzig Meter auf dem Gehweg radeln, bis man wieder auf die Fahrbahn wechseln soll, dann soll man kurz nacheinander drei Mal die Straßenseite wechseln und anschließend durch einen Park fahren, in dem Radfahren verboten ist.

Das kapiert kein Mensch.

Differenzierung tut einfach Not. Blickt nach vorne und nicht zurück! Drohnen sind die Zukunft, sowie dem Fahrrad in der Stadt auch nicht allein die Zukunft gehört. Eine vernünftige Mischung aus ÖPNV, Auto, Fahrrad und Hyperloop, ja der Hyperloop ist die Zukunft, denn ich glaube an die Weiterentwicklung durch moderne Technik. Ich möchte nach vorne blicken.

Hier bringt Dirk leider ein paar wichtige Dinge durcheinander.

Der Hyperloop ist quasi eine Art Schnellzug in der Röhre, der saust da mit Überschallgeschwindigkeit durch. Das heißt aber: Das Ding ist nicht für den innerstädtischen Verkehr gedacht — und bis wirklich mal zwei Städte mit einer solchen aufgeständerten Röhre verbunden sein werden, dürften noch ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte ins Land gehen. Und was die finanziellen Aspekte angeht: Die Kosten pro Kilometer dürften auch nicht so ganz ohne sein, die Betriebskosten vermutlich auch nicht, aber ja: Es handelt sich definitiv um einen ambitionierten Plan, gar keine Frage.

Momentan kranken Großstädte rund um den Globus unter der Last des Kraftverkehrs, die sich mittlerweile nicht mehr mit „mehr Parkplätzen“ und „breite Straßen“ bändigen lässt: Das ist halt dieser so genannte „Mobilitätswandel“, von dem momentan regelmäßig die Rede ist.

Diesem Verkehrschaos kann man mit einer ganzen Reihe an Lösungsmöglichkeiten begegnen. Beispielsweise wäre es langsam an der Zeit, die Nutzungsentmischung der autogerechten Stadt wieder aufzuheben, so dass sich Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Einkaufen und Schule nicht mehr kilometerweit über die Stadt verteilen, sondern sich idealerweise einigermaßen kompakt in einem Viertel gruppieren — so ließen sich viele Fahrten vermeiden beziehungsweise in ihrer Länge reduzieren.

Das ist natürlich nur eine längerfristige Lösung, die sich vermutlich über mehrere Generationen erstrecken wird. Leider ist der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs nicht unbedingt schneller: Ein paar Bushaltestellen bekommt man zwar schnell an den Fahrbahnrand gestellt, für zusätzliche Maßnahmen wie Busbeschleunigung oder den behindertengerechten Ausbau steigt der finanzielle und zeitliche Aufwand hingegen schnell an. Und spätestens Schnellbahnprojekte wie die Verlängerung der U5 in Berlin oder der Bau der gleichnamigen U5 in Hamburg spielen sich inklusive Planung und Ausführung schnell in mehreren Jahrzehnten ab. Das sind dementsprechend keine Projekte, die in einigermaßen naher Zukunft unsere Städte entlasten werden, das sind Lösungen für unsere Kinder und Enkelkinder. Dirks kleiner Schallplattenladen wird in naher Zukunft eher von Fahrradkurieren beliefert werden als von Drohnen.

Es gibt da nämlich ein Verkehrsmittel, das bereits heute die Straßen ganz erheblich entlasten könnte, wenn man denn nur wollte: Das Ding heißt, Tada, das Ding heißt Fahrrad. Es ist kostengünstig, für Kurz- und Mittelstrecken hinreichend schnell, flexibel, frisst nur den Bruchteil des Platzbedarfs eines Kleinwagens und kennt Parkplatzsorgen allenfalls in der Nähe eines Bahnhofes. Eigentlich ist das alles nur eine Kopfsache: Wenn jene Verkehrsteilnehmer, die ihre täglichen Wege auch mit dem Fahrrad bestreiten könnten, tatsächlich mit dem Rad unterwegs wären, auch bei Gegenwind und leichtem Schneefall, dann wäre nicht nur auf der Straße, sondern auch in öffentlichen Verkehrsmitteln beinahe Platz im Überfluss. Und dann stünden plötzlich all jene, die tatsächlich aus unterschiedlichen Gründen auf das eigene Auto angewiesen sind, nicht mehr stundenlang im Stau, fänden plötzlich direkt am Ziel einen Parkplatz und kämen obendrein noch viel entspannter an.

Das wäre eine tolle Sache. Leider ist der Weg zu einer Fahrradstadt nicht nur mit schlechter Radverkehrsinfrastruktur und Mahnwachen gepflastert, sondern auch mit schwurbeligen Blogartikeln, in denen solche, hui, Vorreiter des Mobilitätswandelns als Fahrradnazis bezeichnet werden.

Ich wünsche Critical Mass Berlin mehr Weitsicht, Einsicht und Klarheit in ihren verschrobenen Gedanken. Verpisst euch mit euren aus Einfältigkeit und mangelnder Innovation gewachsenen Rückwärtsgewandheit.

Naja — ganz schön harte Worte dafür, dass der Beweis für die „verschrobenen Gedanken“ nicht so recht geführt wurde. Und überhaupt: Wo kommen denn jetzt die, Moment, die „aus Einfältigkeit und mangelnder Innovation gewachsene Rückwärtsgewandheit her“? Den Auftritt habe ich verpasst.

Ich will auch nicht, dass Kinder Symbole aus der Nazizeit als völlig normal und harmlos ansehen. Spielt nicht mit dem Feuer.

Nun gräbt Dirk leider dieses Argument wieder aus. Wie schon weiter oben beschrieben: Nein, niemand möchte, dass Kinder Symbole aus der Zeit des Nationalsozialismus als völlig normal und harmlos ansehen. Niemand.

Die Nipster haben den Linken ihre Symbole weggenommen. Seid ihr jetzt auch nur noch Logodiebe, weil ihr zu doof seid nach vorne zu blicken und habt ihr eine Mobilitätsvision oder verklebte Kifferhirne?

Hier entgleitet Dirk leider wieder jegliche Sachlichkeit inklusive eines roten Fadens. Ich weiß nicht, wie man auf Vorwürfe antworten soll, die sich nicht im Entferntesten an sachlichen Inhalten orientieren.

Gleich haben wir’s geschafft, zum Schluss muss leider alles noch einmal raus, so gibt’s dann noch einmal eine Sammlung zusammenhangsloser Sätze:

Ich möchte anmerken, dass die gleichen Leute, die hier diese abgewandelten Nazisymbole verwenden sich total darüber aufregen, dass die Polizei in Sachsen Stickereien in Frakturschrift auf den Sitzen in ihre Fahrzeuge eingebaut hat oder – Vorsicht – Verschwörungstheorie – arbeitet ein Teil Neurechter an Internetauftritten vermeintlich linker Steinewerfer? Ich möchte Klarheit, es reicht schon wenn Nachrichten unklar werden, die AfD in Prozentsätzen steigt, Ultrarechte wieder im Bundestag sitzen und die Verwirrung zunimmt.

Und:

Am Ende einer Critical Mass Fahrt wird in Berlin das Rad mit einem Stöhnen in den Himmel gehoben. Eine Art gemeinschaftlicher Gruß, der mir das Gruseln bringt. Fuck you, Critical Mass Berlin.

Vielleicht zum Schluss noch die Anmerkung, dass dieser „gemeinschaftliche Gruß“ keine Erfindung der Berliner Critical Mass ist, sondern auch in anderen Städten praktiziert wird — übrigens auch in San Francisco, Batumi oder Tbilisi. Ich halte es für abwegig, dass das so genannte Bike Up auf der ganzen Welt als rechter Fahrradnazi-Gruß definiert ist — geschweigedenn dass dieser „gemeinschaftliche Gruß“ in Nazideutschland erfunden wurde.

Aber, tja, wer weiß das schon — vielleicht ist alles nur eine riesengroße Verschwörung und die Critical Mass längst von Nazis unterwandert.

Ich bin jedenfalls tatsächlich sehr gespannt, ob Torsten Dirk noch eine überarbeitete Version seines Artikels veröffentlichen wird — es wurde schließlich versprochen, dass er noch ärgerlicher und noch verdammt besser sein würde. Und alles andere wäre ja total Fake-News, oder?